Volkstümliche Rechtsirrtümer

  1. Verträge

  2. VRI/Haftung

  3. Garantie, Mängelhaftung, Gewährleistung

  4. VRI/Gerichte

  5. VRI/Prozess

  6. VRI/Strafen

  7. VRI/Polizei

  8. Straßenverkehr

  9. VRI/Urheberrecht

  10. VRI/Rechtsberatung

  11. VRI/Steuern

  12. VRI/Zahlungsverkehr

  13. VRI/Sonstiges


Inhaltsverzeichnis

  1. Verträge müssen schriftlich geschlossen werden.
  2. Es gibt ein generelles Rückgaberecht von 14 Tagen.
  3. Ich kann mich aus jedem Typ eines gegenseitigen Vertrages durch einseitige Willenserklärung lösen.
  4. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Gesellschaftsvertrag geschlossen.
  5. Das Durchblättern der Zeitschrift verpflichtet zum Kauf.
  6. Wer drei Nachmieter stellt, muss sich nicht an Kündigungsfristen halten.
  7. Es reicht, der Gegenseite einen Brief zu schreiben, um die Verjährung zu unterbrechen.
  8. Online-Auktionen sind Versteigerungen.
  9. Der Satz "Ich leih' mir mal drei Eier" ist juristisch korrekt.
  10. Darlehen bestehen immer aus Geld (vgl. auch Punkt 9).
  11. Wenn man den Ober dreimal zum Kassieren gerufen hat, darf man ohne zu bezahlen gehen.
  12. Wenn Verträge nicht nachprüfbar sind, müssen sie nicht eingehalten werden.
  13. Wenn jemand für etwas Werbung macht, dann muss er es mir auch verkaufen.
  14. Ein mit falschem Preis ausgezeichnetes Produkt muss zu diesem Preis verkauft werden.
  15. Bei Software kauft man nur den Datenträger. Um das Programm nutzen zu können, muss man einen Lizenzvertrag mit dem Hersteller abschließen.
  16. Der Lizenzvertrag kommt durch Klicken auf "I agree" zustande und bindet mich an die Vertragsklauseln im Fenster.
  17. Der Lizenzvertrag unterliegt immer dem Recht des US-Bundesstaates Washington.
  18. Mit Abschluss eines Kaufvertrages werde ich Eigentümer der gekauften Sache.
  19. Der Kunde kann eine im Versandhandel bestellte Ware laut dem Fernabsatzgesetz zurücksenden, wobei der Händler die Rücksendekosten dann tragen muss, wenn der Preis über 40,- € liegt.

1. Verträge müssen schriftlich geschlossen werden.

"Vertrag" - das klingt so recht nach Brief und Siegel, ausführlichen Dokumenten in Juristensprache und schwungvollen Unterschriften. Zum Glück ist aber all dies in den meisten Fällen nicht nötig, um einen Vertrag zu schließen. Denn sonst wäre die Schlange beim Bäcker noch viel länger als sie sowieso ist - schließlich werden dort laufend Kaufverträge (und manche anderen Verträge) geschlossen. Zu einem Vertrag gehören nur Antrag ("Zwei von den Brötchen zu 35 Cent bitte") und Annahme ("Bitte sehr" - Verkäuferin reicht die Brötchen rüber). Der Antrag muss alle wichtigen Vertragsbedingungen enthalten (Kaufgegenstand: Zwei Brötchen, Kaufpreis: 70 Cent) und bei der Annahme muss der Vertragspartner diesem Antrag zustimmen. Das kann mit gesprochenen Worten oder sogar durch einfache Handlungen (die Verkäuferin reicht die Brötchen wortlos rüber) geschehen, wenn nur die Bedeutung erkennbar ist. Nur ganz bestimmte Verträge müssen schriftlich abgeschlossen werden, was dann ausdrücklich im Gesetz steht. Ein Beispiel dafür ist die vertragliche Auflösung eines Arbeitsverhältnisses (§ 623 BGB - auch eine Kündigung muss übrigens schriftlich erfolgen). nach oben

2. Es gibt ein generelles Rückgaberecht von 14 Tagen.

Und wenn die Kaufhäuser in den 14 Tagen nach Weihnachten noch so fleißig umtauschen, solange die gekauften Waren nicht gerade mangelhaft sind, sind sie per Gesetz nicht dazu verpflichtet. Schon gar nicht müssen sie die Waren zurücknehmen und den Kaufpreis zurückzahlen. Gekauft ist gekauft. Ein 14-tägiges Widerrufs- oder Rückgaberecht gibt es nur nach verschiedenen Verbraucherschutzvorschriften für ganz bestimmte Verträge, so etwa bei Haustürgeschäften (§ 312 BGB) oder bei Versandhandelskäufen (§ 312d BGB). Und auch das gilt nur für Verbraucher, nicht für gewerbliche Einkäufe. ABER: Natürlich kann ein einzelner Kaufvertrag ein Rückgaberecht vorsehen - und das ist bei großen Kaufhäusern wiederum oft der Fall in den AGB. Viele größere Kaufhäuser verpflichten sich hierdurch selbst zu einer Rücknahme, an diese Pflicht sind sie IN DEM FALL dann doch gebunden. Im Zweifel müssen also die AGB des Handelspartners geprüft werden. nach oben

3. Ich kann mich aus jedem Typ eines gegenseitigen Vertrages durch einseitige Willenserklärung lösen.

Oh nein! Wofür bitte sollte man Verträge schließen, wenn sich anschließend niemand daran halten müsste? Nur Verträge, die auf längere Zeit angelegt sind, lassen sich normalerweise kündigen, was dann wirklich eine einseitige Willenserklärung ist. nach oben

4. Ich habe noch nie in meinem Leben einen Gesellschaftsvertrag geschlossen.

Auch in den Zeiten des Neuen Marktes, wo die seltsamsten Unternehmen an die Börse gehen, haben die meisten Leute noch keine Aktiengesellschaft gegründet. Auch GmbHs sind nach wie vor nicht jedermanns Sache. Aber wer in seinem Leben keinen Gesellschaftsvertrag schließt, muss schon ein ziemlich ungeselliger Mensch sein. Einen Gesellschaftsvertrag schließt nämlich, wer vereinbart, "die Erreichung eines gemeinsamen Zweckes in der durch den Vertrag bestimmten Weise zu fördern" (§ 705 BGB). Und unter diese - zugegeben: sehr abstrakte - Formulierung fallen auch ziemlich alltägliche Dinge wie eine gemeinsam ausgerichtete Party ("Du organisierst den Raum, ich besorge die Getränke") oder eine Fahrgemeinschaft mit dem Schönes-Wochenende-Ticket ("Das macht dann für jeden von uns fünf Euro sechzig"). nach oben

5. Das Durchblättern der Zeitschrift verpflichtet zum Kauf.

Zur Wirksamkeit eines Kaufvertrages bedarf es Angebot und Annahme (vgl. auch Punkt 1). Es ist zwar möglich, dass ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrages stillschweigend oder schlüssig (konkludent) gemacht wird. In jedem Fall muss der Leser aber einen Kaufwunsch "äußern". Dieser fehlt beim bloßen Durchblättern, so dass kein Kaufvertrag zustande kommt. nach oben

6. Wer drei Nachmieter stellt, muss sich nicht an Kündigungsfristen halten.

Der Vermieter kann sich ganz alleine aussuchen, an wen er seine Wohnung/Haus vermietet. Bei einem guten Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter kann ein Nachmieter schon mal zum abgesprochenen Wegfall der Kündigungsfrist führen. Aber selbst wenn der Altmieter dem Vermieter 20 potentielle Nachmieter vorstellt, von denen ihm keiner als zukünftiger Mieter passt, dann kann der Mieter daran nichts ändern und muss die drei (oder mehr) Monate warten. nach oben

7. Es reicht, der Gegenseite einen Brief zu schreiben, um die Verjährung zu unterbrechen.

Ein Irrtum, der weitreichende Folgen haben kann. Ein Brief kann allenfalls als Erinnerung dienen, hat aber keinerlei Auswirkung auf die Verjährungsfrist, die fröhlich weiterläuft. Unterbrochen wird die Verjährung nur durch ein Anerkenntnis des Verpflichteten (§ 212 Abs. 1 Nr. 1 BGB), gehemmt wird sie durch gerichtliche Geltendmachung (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB), der u.a. auch das gerichtliche Mahnverfahren gleichsteht (§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB). nach oben

8. Online-Auktionen sind Versteigerungen.

Die meisten sog. Internetversteigerungen sind keine Versteigerungen im Rechtssinne. Eine Versteigerung im Rechtssinne wird definiert in § 156 BGB als ein Vertragsschluss, bei dem das Angebot durch ein Gebot des einen Teils und die Annahme desselben durch den Zuschlag erfolgt. Behält sich der andere Teil die Annahme trotz Zuschlags vor, liegt keine Versteigerung im Rechtssinne vor. Es handelt sich dann vielmehr um einen Kaufvertrag gegen Höchstgebot. nach oben

Doch selbst, wenn mit Ablauf der Auktion ein verbindlicher Kaufvertrag zustandekommt, muss es noch keine Versteigerung im Rechtssinne sein; denn bei dieser wird der Vertrag eben auch mit dem Zuschlag geschlossen. Bei eBay und anderen Online-Auktionen gibt es aber keinen Zuschlag, sondern der Verkäufer erklärt bereits vorher verbindlich, dass mit dem Höchstbieter ein Kaufvertrag geschlossen sein soll, so dass dieser Vertrag ganz normal durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen (Angebot und Annahme) von Käufer und Verkäufer geschlossen wird. nach oben

9. Der Satz "Ich leih' mir mal drei Eier" ist juristisch korrekt.

Wenn Du beabsichtigst, genau die drei Eier zurückzugeben, die Du ausgeliehen hast, dann ist er es in der Tat. Da man Eier aber üblicherweise nicht zum staunenden Begucken verwendet, sondern sie möglichst lecker zubereitet essen möchte, handelt es sich rechtlich nicht um Leihe ( § 598, 604 BGB), sondern um ein Darlehen (§ 607 BGB). Denn wer ein Darlehen empfangen hat, muss nur Sachen gleicher Art, Güte und Menge zurückgeben. Und so tun es dann auch andere Eier. nach oben

10. Darlehen bestehen immer aus Geld (vgl. auch Punkt 9).

Nach § 607 BGB bestehen Darlehen aus "vertretbaren Sachen". Was das nun ist, zeigt einem ein Blick in § 91 BGB: Sachen, die üblicherweise nach Zahl ("drei Eier"), Maß ("hundert Meter Schnur") oder Gewicht ("zwanzig Zentner Kohlen") bestimmt werden. nach oben

Geld ist nur eine von vielen solchen Sachen. Allerdings gilt für Darlehen über Geld eine Sonderregelung: Diese Darlehen richten sich nach den §§ 488 ff. BGB, die Regelungen sind allerdings zumindest dem Grunde nach identisch. nach oben

11. Wenn man den Ober dreimal zum Kassieren gerufen hat, darf man ohne zu bezahlen gehen.

Auch wenn der Ober keine Lust zum Kassieren hat, wird davon nicht der Anspruch des Restaurants auf das Entgelt berührt. Das Restaurant wird möglicherweise in Annahmeverzug kommen, was bezogen auf das Beispiel grundsätzlich aber keine Folgen haben wird. Wenn das Restaurant also irgendwann später Geld sehen möchte, hilft in der Regel höchstens eine Verjährung, um nicht bezahlen zu müssen. nach oben

12. Wenn Verträge nicht nachprüfbar sind, müssen sie nicht eingehalten werden.

Einer der ehernen Grundsätze im Deutschen Recht lautet: pacta sunt servanda (Verträge müssen erfüllt werden).

Problematisch wird es dann, wenn gerichtlich um einen Vertrag gestritten wird, weil dann jeder die für ihn günstigen Fakten beweisen muss. Das kann dann zu einem Problem werden. Das passende Stichwort ist: Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Paar Schuhe. nach oben

13. Wenn jemand für etwas Werbung macht, dann muss er es mir auch verkaufen.

Eine Werbung ist regelmäßig die Einladung zur Abgabe eines Angebotes auf Abschluss eines Vertrages (sog. invitatio ad offerendum). Ob der Händler das annehmen will, bleibt ihm selbst überlassen. In Deutschland herrscht das Prinzip der Vertragsfreiheit, d.h. ich kann mit jedermann Verträge schließen, muss es aber nicht. Andererseits könnte man über eine Klage wegen Verstoßes gegen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb nachdenken. nach oben

14. Ein mit falschem Preis ausgezeichnetes Produkt muss zu diesem Preis verkauft werden.

Ein Kaufvertrag wird geschlossen, indem zwei übereinstimmende Willenserklärungen mit Bezug aufeinander abgegeben werden. Die Preisauszeichnung ist keine Willenserklärung, sondern lediglich eine sogenannte invitatio ad offerendum, also die Aufforderung, ein Angebot abzugeben - schließlich will der Ladeninhaber normalerweise eine ausgezeichnete Ware nicht ohne weiteres an jeden verkaufen. Beispielsweise will er sich sicher vorbehalten, nicht an jemanden zu verkaufen, der bekanntermaßen zahlungsunfähig ist. Und da dies einigermaßen offensichtlich ist, ist es noch nicht als bindendes Angebot zu verstehen, wenn er Waren - auch mit Preisauszeichnung - auslegt.

Beim Bezahlen einer falsch ausgezeichneten Ware zum Preis X liefe der Dialog zwischen V=Verkäufer und K=Käufer etwa folgendermaßen ab (hier etwas ausführlicher als im wirklichen Leben):

Ein abänderndes Angebot wie das des V ist rechtlich eine Ablehnung verbunden mit einem neuen Angebot (§ 150 Abs. 2 BGB). Der Käufer kann nur dieses neue Angebot annehmen. Wenn der Händler allerdings häufig "aus Versehen" Preise falsch angibt, verstößt er gegen gewerbe- und wettbewerbsrechtliche Vorschriften. Das nützt allerdings dem Kunden nicht, nur die Konkurrenz, ein Verbraucherverein oder die Kreisverwaltungsbehörde können gegen ihn vorgehen. nach oben

15. Bei Software kauft man nur den Datenträger. Um das Programm nutzen zu können, muss man einen Lizenzvertrag mit dem Hersteller abschließen.

Mit dem Kauf vom Händler erwirbt man das Eigentum an den Originaldatenträgern mit der darauf enthaltenen Software. Damit erhält man das Recht "nach Belieben" (§ 903 BGB) mit der Sache zu verfahren. Dieses wird hinsichtlich der Software nur durch das Urheberrechtsgesetz beschränkt. Das UrhG regelt aber nur die Vervielfältigung von Werken, das Nutzungsrecht wird nicht angetastet. nach oben

16. Der Lizenzvertrag kommt durch Klicken auf "I agree" zustande und bindet mich an die Vertragsklauseln im Fenster.

Wenn man durch den Kauf der Software vom Händler das Eigentum an ihr erhalten hat, hat man das Recht, die Software zu nutzen. Wenn der einzige Weg zur Wahrnehmung dieses Rechtes das Wegklicken eines Vertragstextes ist, so kann daraus keine Zustimmung zu den Inhalten des Vertrages abgeleitet werden. Allerdings darf man keine "Online-Registirierung" durchführen, diese wäre bindend und würde zur Einhaltung der Lizenzbestimmungen führen. nach oben

17. Der Lizenzvertrag unterliegt immer dem Recht des US-Bundesstaates Washington.

Der Lizenzvertrag (so wirklich einer zustande gekommen ist, vgl. Punkt 16) unterliegt dem Recht, das darin vereinbart wurde. Das kann jegliches Recht sein. nach oben

18. Mit Abschluss eines Kaufvertrages werde ich Eigentümer der gekauften Sache.

Der Kaufvertrag verschafft lediglich den Anspruch auf Verschaffung des Eigentums (die sog. Übereignung) gegen den Verkäufer, nicht das Eigentum selbst. Im deutschen Recht wird zwischen beiden (Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft) strikt unterschieden, wenn auch beides in Geschäften des täglichen Lebens sehr oft zusammenfällt.

Die Übereignung der gekauften Sache ist ein eigenes, von dem Kaufvertrag getrenntes Rechtsgeschäft (sog. Trennungsprinzip). Eine Unwirksamkeit des einen hat i.d.R. keine Auswirkungen auf das andere (sog. Abstraktionsprinzip). nach oben

19. Der Kunde kann eine im Versandhandel bestellte Ware laut dem Fernabsatzgesetz zurücksenden, wobei der Händler die Rücksendekosten dann tragen muss, wenn der Preis über 40,- € liegt.

Der Kunde kann eine im Versandhandel bestellte Ware laut dem Fernabsatzgesetz zurücksenden, wobei der Händler die Rücksendekosten grundsätzlich tragen muss. Nur ausnahmsweise kann zwischen Kunde und Händler bei der Bestellung vereinbart werden, dass der Kunde die Rücksendekosten trägt. Dafür darf der Betrag der Bestellung 40,- € nicht übersteigen.

Die Vereinbarung wird, wenn sie getroffen wird, in der Regel als Allgemeine Geschäftsbedingung des Händlers gelten. Sie ist unwirksam, wenn eine andere Ware als die bestellte geliefert wird.

Das Fernabsatzgesetz gibt es übrigens nicht mehr; es wurde zum 01.01.2002 aufgehoben, weil seine Regelungen in das BGB eingegangen sind, dort stehen sie jetzt in den §§ 312b ff. und §§ 355 ff. BGB. nach oben

VRI/Vertraege (zuletzt geändert am 2014-12-08 08:35:04 durch anonym)