VorlesungSb/ZPO2011/FragenVorlesung20111212 hier beschreiben...
Fragen zur Vorlesung vom 2011 12 12
- Wie geht ein Zivilrichter an die Lösung einer Zivilsache heran?
- Für den Zivilrichter ist der Klageantrag des Klägers, also sein Begehren Ausgangspunkt der Prüfung. Der Richter ermittelt den Sachverhalt nur auf Basis der Fakten, die von den Parteien in den Prozess eingebracht werden Die Prüfung mittels der Relationstechnik gliedert sich in fünf Abschnitte („Stationen“): Prozessstation, Klägerstation, Beklagtenstation, Beweisstation und Tenorierungsstation. Je nach Stand des Rechtsstreits können einzelne Stationen ausgelassen werden. Wenn sich z. B. schon in der Prozessstation die Unzulässigkeit einer Klage ergibt, erübrigt sich die Prüfung von Kläger-, Beklagten- und Beweisstation.
- In der Prozessstation prüft der Richter oder Anwalt zunächst, ob die Klage überhaupt zulässig ist. Dabei werden zumindest gedanklich alle Prozess- und Sachurteilsvoraussetzungen durchgegangen.
- .In der Klägerstation unterstellt man die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen als wahr und untersucht, ob diese ausreichen, um den Tatbestand einer Anspruchsgrundlage auszufüllen, deren Rechtsfolge das vom Kläger verfolgte Begehren (die beantragte Leistung, Feststellung oder Gestaltung) deckt.
- .Ist der Klägervortrag schlüssig, so betrachtet man in der Beklagtenstation das Verhalten des Prozessgegners. Bleibt der Beklagte passiv oder erkennt er den Klageanspruch an, endet der Prozess regelmäßig durch ein Versäumnis- oder ein Anerkenntnisurteil zugunsten des Klägers.Begehrt der Beklagte die Klageabweisung, so untersucht der Richter in der Erheblichkeitsprüfung das Verteidigungsvorbringen. Ein Beklagter hat auf der Tatsachenebene grundsätzlich zwei Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Der Beklagte kann zum einen die vom Kläger behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen, auf die es für die Schlüssigkeit ankommt, bestreiten. Der Beklagte kann zum anderen Tatsachen zu Gegennormen (rechtshindernde und rechtsvernichtende Einwendungen, rechtshemmende Einrede) vortragen.
- Im Beweisstation-ist auch nach den wechselseitigen Einlassungen das Vorbringen des Klägers noch schlüssig und das Bestreiten bzw. der Tatsachenvortrag des Beklagten noch erheblich, so liegen dem Gericht mindestens zwei unvereinbare Tatsachendarstellungen vor, nach denen der Rechtsstreit unterschiedlich zu lösen ist. Der Richter verschafft sich entweder durch eine Beweisaufnahme eine tragfähige Überzeugung von der Richtigkeit einer Tatsachendarstellung oder er entscheidet nach Beweislastregeln.
- In der Tenorierungsstation formuliert der Rechtsreferendar den Urteilstenor, wenn er die Sache im Ergebnis der vorangegangenen Stationen für urteilsreif hält. Andernfalls erarbeitet er einen die Urteilsreife herbeiführenden Beschluss, etwa einen Beweis-, Hinweis- oder Verweisungsbeschluss.
- Was ist der Sinn der Relationstechnik?
- Für den Richter gilt sie als Methode, um auf die schnellstmögliche und gleichzeitig für die Beteiligten kostengünstigste Weise zu einer richtigen Entscheidung in einem Zivilprozess zu gelangen, insbesondere um zu klären, ob der Prozess entscheidungsreif ist oder ob Beweis erhoben werden muss. Für den Rechtsanwalt ist Ziel der Relation ein zweckmäßiges Vorgehen für seine Mandanten im Zivilprozess.
- Unterstellt, der Zivilrichter habe die Zivilsache relationsmäßig durchdacht - was kann er tun, das Ziel des § 272 Abs. 1 zu erreichen?
- Die Parteien sollen angehalten werden, Angriffs- und Verteidigungsmittel so rechtzeitig vorzubringen, dass das Gericht in der Lage ist, den Rechtsstreit in einem einzigen gut vorbereiteten Verhandlungstermin zu erledigen. Diese allgemeine Prozessförderungspflicht ist in § 282 ZPO normiert; die gesetzliche Zielvorstellung des umfassend vorbereiteten Termins in § 272 Abs. I ZPO. Das Machtmittel des Richters, um diese allgemein verankerte Prozessförderungspflicht durchzusetzen ist § 296 ZPO mit der Möglichkeit, verspätet vorgebrachte Angriffs- und Verteidigungsmittel zurückzuweisen.
- Was ist unter der richterlichen Aufklärungs- und Hinweispflicht zu verstehen?
- Die richterliche Aufklärungs- und Hinweispflicht ist eine Ergänzung des Verhandlungsgrundsatzes durch die Regeln über die materielle Prozessleitung in § 139 ZPO. Sie gilt insbesondere, wenn der Parteivortrag oder die Anträge mehrdeutig bzw- unklar formuliert sind. Die Erörterungspflicht bezieht sich sowohl auf tatsächliche als auch auf rechtliche Gesichtspunte, vgl. § 139 Abs.2 ZPO. Sie ist eine besondere Ausprägung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Diese Pflicht ist aber begrenzt - es ist nicht Aufgabe des Gerichts, durch Fragen oder Hinweise neue Anspruchsgrundlagen, Einreden oder Anträge einzuräumen, die in dem streitigen Vortrag der Parteien nicht zumindest andeutungsweise bereits eine Grundlage haben - so der BGH.
- Was unter den Prozessmaximen des fairen Verfahrens und des Anspruchs auf rechtliches Gehör?
- 1.Mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren bezeichnet man den sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebenden Anspruch auf eine redliche und unwillkürliche Verfahrensgestaltung. Konkret folgt daraus, dass der Richter sich nicht widersprüchlich verhalten darf, dass er aus seinen oder ihm zurechenbaren Fehlern keine Nachteile für die Parteien ableiten darf und dass er ganz allgemein zur Rücksichtnahme auf die Parteien und ihre konkrete Situation verpflichtet ist. Der Grundsatz ist in Europa in Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegt
- 2.Mit Anspruch auf rechtliches Gehör wird das Recht eines Bürgers bezeichnet, in einem staatlichen Verfahren seinen Standpunkte in ausreichender und sachgerechter Weise darlegen zu dürfen. Dabei muss die entscheidende Stelle in ihrer Entscheidung erkennen lassen, dass sie den Standpunkt zur Kenntnis genommen und sich damit auseinandergesetzt hat.Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist ein Verfahrens-Grundrecht, dass sich aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt und in jedem staatlichen Verfahren (Zivilprozess, Strafprozess, Verwaltungsverfahren usw.) zu berücksichtigen ist. In den einzelnen Gesetzen wird der Anspruch teilweise konkretisiert (z.B. in § 118 Abs. 1 S. 1 ZPO).
- Aus welchen Teilen besteht die mündliche Verhandlung im weiteren Sinne?
- 1.Aufruf zur Sache (§ 220 ZPO)
- 2.Einführung in den Sach- und Streitstand, soweit er nicht unmittelbar zuvor im Gütetermin erörtert wurde.
- 3.Stellen der Sachanträge durch die Parteien(§ 137 Abs. 1 ZPO)
- 4.Vorträge der Parteien (§ 137 Abs. 2 und Abs. 3 ZPO)
- eventuell:
- a)Beweisaufnahme (§ 279 Abs. 2 ZPO)
- b)Erörterung des Sach- und Streitstandes nach der Beweisaufnahme (§ 279 Abs. 3 Alt. 1 ZPO)
- c)Soweit möglich Erörterung der Beweisaufnahme (§ 279 Abs. 3 Alt. 2 ZPO)
- Bei Entscheidungsreife:
- 5.Schluss der Verhandlung (§ 136 Abs. 4 ZPO)
- 6.Beratung, Abstimmung und Verkündung des Urteils.
- Andernfalls:
- 7.Fortsetzung der Hauptverhandlung ggf. Vertagung durch kurzfristige Anberaumung eines neuen Termins (§ 136 Abs. 3 ZPO )
- Was ist unter der sog. Güteverhandlung zu verstehen?
- Die Güteverhandlung ist ein vor dem ersten Termin zur mündlichen Verhandlung zwingender Einigungsversuch. Eingeführt wurde sie mit der Zivilprozessrechtsreform. Sie geht gem. § 278 Abs. 2 ZPO der mündlichen Verhandlung zum Zwecke der gütlichen Beilegung des Rechtsstreits voraus, es sei denn, es hat bereits ein Einigungsversuch vor einer außergerichtlichen Gütestelle stattgefunden oder die Güteverhandlung erscheint erkennbar aussichtslos.Die Pflicht zur Durchführung einer Güteverhandlung besteht bei allen zivilprozessualen Verfahren der ersten Instanz. In der Berufungs- bzw. Revisionsinstanz kann sie durchgeführt werden.
- Welchem Vorbild ist der Gesetzgeber gefolgt, als er für den Zivilprozess eine Güteverhandlung vorgesehen hat?
- Dem englischen Vorbild und dem deutschen arbeitsgerichtlichen Verfahren
- Wir hatten gesagt, die Prozessaufrechnung sei ein Doppeltatbestand. Ist auch der Prozessvergleich ein Doppeltatbestand?
- Der Prozessvergleich ist ein zur vorzeitigen Beendigung des Verfahrens dienender Prozessvertrag mit Doppelnatur: Prozesshandlung und materielles Rechtsgeschäft i.S.d. § 779 BGB sind untrennbar miteinander verbunden.
- Welche Folgen ergeben sich aus der Rechtsnatur des Prozessvergleichs?
- Die Voraussetzungen des Prozessvergleichs sind auf Grund seiner Doppelnatur in solche prozessualer und solche materieller Natur zu untergliedern.
- Die Prozessuale Voraussetzungen ergeben sich aus §§ 794 Abs.1 Nr.1, 160 Abs.3 Nr.1, 278 Abs.6
- .Die materiellen Voraussetzungen sind insbesondere aus § 779 BGB zu entnehmen.
- a)Ein gegenseitiges Nachgeben wird bereits in dem Verzicht der Parteien auf ein streitiges Urteil gesehen.
- b)Die sonstigen Wirksamkeitsvoraussetzungen sind zu berücksichtigen (z.B. §§ 104 ff.,134, 145 ff.,158 BGB)
- Prozessual führt der Vergleich zur Beendigung des Prozesses, d.h. die Rechtshängigkeit wird, so weit der Vergleich reicht, beseitigt. Ein bereits erlassenes, noch nicht rechtskräftiges Urteil wird wirkungslos. Sofern der Vergleich einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, ist er Vollstreckungstitel (§ 794 Abs.1 Nr.1)
- Materiellrechtlich führt der Vergleich zu einer Neuregelung der rechtlichen Beziehungen zwischen den Parteien.
- Unterstellt, der Prozessvergleich sei wirksam angefochten. Wird der Rechtsstreit weitergeführt oder ein neuer Rechtsstreit eingeleitet (§ 767 ZPO)?
- Der Rechtsstreit wird bei der Anfechtung des Prozessvergleichs nach ganz herrschender Meinung grundsätzlich weitergeführt, wenn behauptet wird, dass der Vergleich von Anfang an unwirksam gewesen sei. (Pohlmann § 10 Rn. 547) Da die Anfechtung ex-tunc-Wirkung hat, wäre von Anfang kein wirksamer Prozessvergleich zustande gekommen und damit auch keine verfahrensbeendende Wirkung eingetreten.
- Unterstellt, eine Partei sei vom Prozessvergleich zurückgetreten? Wird der Rechtsstreit weitergeführt oder ein neuer Rechtsstreit eingeleitet (§ 767 ZPO)?
- Beim Rücktritt vom Prozessvergleich dagegen ist, nach Meinung der BGH, die Einleitung eines neuen Verfahrens im Wege der Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 erforderlich. Die Literatur aber sieht auch beim Rücktritt die verfahrensbeendende Wirkung des Prozessvergleichs entfallen. Sie entfällt zwar nur mit ex-nunc-Wirkung, allerdings sprächen prozessökonomische Gründe für die Weiterführung des Ausgangsverfahrens und gegen einen erneuten Rechtsstreit.
- Womit beginnt die mündliche Verhandlung im engeren Sinne?
- Die mündliche Verhandlung im engeren Sinne beginnt erst mit der Stellung der Sachanträge der Parteien nach Durchführung des Güteverhandlung.
- Was ist unter den Prozessmaximen der Öffentlichkeit und der Mündlichkeit zu verstehen?
- Unter der Prozessmaxime der Öffentlichkeit versteht man, dass die Öffentlichkeit grundsätzlich Zutritt zu den Verhandlungen und der Urteilsverkündung vor dem erkennenden Gericht hat. (§§ 169, 173 I GVG) Unter dem Mündlichkeitsgrundsatz versteht man, dass die Parteien vor dem erkennenden Gericht in Zivilsache grundsätzlich mündlich verhandeln müssen (§ 128 I ZPO) und nur das in der mündlichen Verhandlung Vorgetragene Grundlage der Sachentscheidung sein soll, was sich beispielweise in § 309 und § 311 ZPO niederschlägt.
- Welche Vorschriften der ZPO gestatten den Schluss, dass die Beweisaufnahme nicht Teil der mündlichen Verhandlung im engeren Sinne ist?
- Zum einen gestattet § 485 ZPO den Schluss, dass die Beweisaufnahme nicht Teil der mündlichen Verhandlung ist, da es auch die Möglichkeit gibt ein selbständiges Beweisverfahren durchzuführen, sogar ohne dass überhaupt ein streitiges Verfahren vorliegt. Zudem legt § 279 II ZPO den Schluss nahe, dass die Beweisaufnahme nicht zur mündlichen Verhandlung im engeren Sinne gehört, da sie in einem eigenen Absatz nach der mündlichen Verhandlung in § 279 I ZPO Niederschalg findet und sie auch nach der streitigen Verhandlung durchgeführt werden soll, aber nicht muss. Sie kann auch zu einem anderen Zeitpunkt erfolgen. Schließlich kann auch nach § 362 I ZPO die Beweisaufnahme vor einem ersuchten Richter stattfinden, während die mündliche Verhandlung im engeren Sinne immer vor dem erkennenden Prozessgericht durchgeführt werden muss. (§ 309 ZPO)
- Welche Tatsachen sind beweisbedürftig?
- Tatsachen sind dann beweisbedürftig, wenn sie für den Ausgang des Rechtsstreits erheblich sind, nicht bereits als erwiesen hinzunehmen sind und von der gegnerischen Partei hinreichend bestritten werden. (Pohlmann § 8 Rn. 331) Nicht beweisbedürftig sind nach § 291 ZPO offenkundige Tatsachen sowie nach § 292 ZPO auch vermutete Tatsachen.
- Erläutern Sie die Begriffe materielle Beweislast und formelle Beweislast (Beweisführungslast).
- Bei streitigen Tatsachen stellt sich die Frage, wer für die Tatsache Beweis führen muss bzw. Beweismittel benennen muss. Das ist die formelle Beweislast. Mit der materiellen Beweislast ist "das Risiko der Unbeweisbarkeit einer Tatsache" gemeint. (Pohlmann § 8 Rn. 352) Dieser muss dann den Beweis für die ihn günstige Tatsache führen.