Leistungskontroll-Klausuren zum Bürgerlichen Vermögensrecht, Prof. Rüßmann
Vorlesung (18. Februar 2003)
Sachverhalt
(siehe PDF S. 2 oben)
Dem Elektrofachhändler E war die gegenwärtige gesetzliche Regelung der Ladenöffnungszeiten schon immer ein "Dorn im Auge". Als er in den Medien von den verkaufsoffenen Sonntagen in Berlin und einigen ostdeutschen Städten erfährt, schließt er sich dieser "Initiative" ohne behördliche Sondergenehmigung an.
Eines Sonntags erscheint die leichtgläubige K in seinem Geschäft. Dort spricht sie N, der 16jährige Neffe des E, an, da E gerade kurzzeitig abwesend ist. E hatte N ausdrücklich untersagt, Verkaufsgespräche zu führen, und hatte ihn gebenten, eventuell erscheinende Kunden um etwas Geduld zu bitten, da er bald wieder eintreffen werde. N setzt sich aus Übermut einfach über diese Bitte hinweg und schwatzt der K einen Farbfernseher auf. Dabei erzählt er ihr, die Bundesregierung bezuschusse zur Förderung des Sonntagsverkaufs sonntags erworbene Elektrogeräte mit einer Erstattung von bis zu 25 Prozent des Kaufpreises. Außerdem behauptet er wahrheitswidrig, daß der gleiche Farbfernseher bei den Konkurrenten des E erheblich teurer sei. Als E kurz darauf ankommt, ist er zwar verärgert über die Eigenmächtigkeit des N, läßt sich aber dennoch nichts anmerken und nimmt den Kaufpreis von der K entgegen.
Einige Tage später erscheint die K wutentbrannt im Geschäft des E. Sie bringt ihm den Fernseher zurück und verlangt dafür von E den Kaufpreis. Zur Begründung führt sie an, sie habe sich über den marktüblichen Preis geirrt. Außerdem habe N sie reingelegt, was sie dann näher belegt. Schließlich habe sie heute in der Zeitung gelesen, daß sie ohnehin nicht an den Kaufvertrag gebunden sei, da dieser gegen das Ladenschlußgesetz verstoße. E dagegen lehnt ihr Begehren ab. Er erfahre erst heute von den "Schwindeleien" des N und habe damit auch nichts zu tun.
Wie ist die Rechtslage?
'Auszug aus dem Gesetz über den Ladenschluss: '
§ 1 Abs. 1 Nr 1: Verkaufsstellen im Sinne dieses Gesetzes sind Ladengeschäfte aller Art ...
§ 3 Abs. 1 Nr 1: Verkaufsstellen müssen an Sonn- und Feiertagen geschlossen sein.
Lösungsskizze:
Rückzahlung des Kaufpreises aus 812 Abs.1 S.1 Fall 1 ("Leistungskondiktion")
- etwas (+)
- erlangt (+)
- durch Leistung eines anderen (+)
- ohne rechtlichen Grund: Vertrag = zwei übereinstimmende Willenserklärungen
- K und N (Stellvertretung): Handeln des N (§ 164 Abs.1 BGB)
- Offenkundigkeit (+)
- Vertretungsmacht (§ 165 BGB): nicht ausdrücklich, nicht konkludent, nicht kraft Rechtsschein, nicht nach § 56 HGB weil nicht angestellt
=> vollmachtloser Stellvertreter
=> § 179 BGB, Genehmigung: konkludent (+)
=> Willenserklärung des N bindet E
- Ladenschlußgesetz (§ 134 BGB)
- Ladenschlußgesetz kein Gesetz im Sinne des § 134 BGB
=> Vertrag nicht nichtig wegen Verstoß gegen § 134 BGB
- Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB)
- K erklärt genau das, was sie erklären will
=> kein Irrtum iSd § 119 BGB
- nur Irrtum über Preis: keine verkehrswesentliche Eigenschaft iSd § 119 Abs.2 BGB
- nur Motivirrtum = rechtlich unbeachtlich
- Anfechtung wegen arglistiger Täuschung durch Dritten (§ 123 BGB)
- Abs.1 (+)
- Abs.2: Täuschung durch N, nicht durch V: N ist Dritter, aber nicht Dritter iSd § 123 Abs.2 BGB
=> Anfechtung aus § 123 Abs.1 BGB möglich
=> Anfechtungserklärung nach § 143 Abs.1 BGB, auch konkludent möglich
- Wirkung: § 142 Abs.1 BGB: Rechtsgrund für Kaufpreiszahlung fällt weg
- K und N (Stellvertretung): Handeln des N (§ 164 Abs.1 BGB)
=> Rückzahlung aus § 812 Abs.1 S.1 Fall 1
---> Warum ist das Ladenschlussgesetz hier kein Gesetz i.S.d. §134 BGB ??? Dass der gute Mensch das Geschäft aufhatte, stellt doch gerade einen in §134 geregelten Verstoss dar ???
- vgl "Schutzzweck einer Norm" im Strafrecht: Der Sinn des Ladenschlußgesetzes ist nicht zu verhindern, daß Sonntags Verträge abgeschlossen werden, sondern daß Arbeitgeber ihre Angestellten nicht per Arbeitsvertrag zwangsverpflichten können, sonntags zu arbeiten. Das Gesetz dient also dem Arbeitnehmerschutz, und verbietet nicht den Abschluß von Verträgen im Allgemeinen.
Deshalb ist das Ladenschlußgesetz kein Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB.
Arbeitsgemeinschaften (19. Februar 2003)
Sachverhalt
(siehe PDF S. 3 mitte)
Kalle Karl (K) ist 17 Jahre alt und zu einem Stadtbummel unterwegs, als er in dem Computergeschäft des V ein fantastisches Angebot entdeckt: ein Notebook im Wert von 2500 Euro zum Preis von 500 Euro. V und K werden sich schnell handelseinig. K soll das Notebook am selben Tag bezahlen, V will es noch eine gewisse Zeit als Ausstellungsstück behalten und in drei Wochen herausgeben. K, der ein monatliches Taschengeld von 50 Euro erhält und zudem ein eigenes Sparkonto unterhält, holt sich das Geld an einem Bankautomaten und übergibt es V. Beiläufig erkundigt sich V nach dem Alter des K und erfährt, daß K erst 17 Jahre alt ist. Er hält das zunächst für unbedenklich, weil er glaubt, daß K das Geld aus ihm hierfür zur Verfügung gestellten Mitteln bezahlt hat.
Am nächsten Tag kommen ihm indes Bedenken, und er richtet einen Brief an die Eltern des K, in dem er die Eltern auffordert, sich dazu zu äußern, ob das mit dem Kauf des Computers durch K in Ordnung gehe. Als der Brief eine Woche nach dem Kauf im Hause der Familie des K ankommt, öffnet K den Brief, weil er denkt, daß dieses Schreiben seinen Computer betrffe, den er vielleicht schon früher als vereinbart in Empfang nehmen könne. Der Inhalt des Briefes enttäuscht ihn. Da er mit seinen Eltern noch am Tage des Kaufs über das Schnäppchen gesprochen hatte und die Eltern ihm zu seiner glücklichen Hand gratuliert hatten, hielt er die Nachfrage des V für ziemlich überflüssig und nahm den Brief mit in sein Zimmer. Dort fand ihn die Mutter eine Woche später beim Aufräumen. Am Abend sprachen die Eltern den K auf den Brief an. Auch sie waren der Meinung, daß nichts mehr zu veranlassen sei, weil sie das Geschäft ja dem K gegenüber schon genehmigt hätten.
Zehn Tage später wollte K das Notebook bei V abholen. Obwohl das Notebook noch im Laden stand, weigerte sich V, das Notebook herauszugeben. Er hatte das Notebook, nachdem die Eltern des K auf seine schriftliche Aufforderung nicht reagiert hatten, zwei Tage zuvor an einen anderen Interessenten zum doppelten Preis verkauft und bietet dem K lediglich die Rückzahlung der 500 Euro an.
K ist wie seine schnell herbeigerufenen Eltern sauer. Er besteht auf der Herausgabe des Notebooks an ihn. Die Eltern meinen, aus ihrem Schweigen dürfe es keinen negativen Folgen für den K geben. Sollte das aber dennoch so sein, so möchten sie die Wirkungen des Schweigens durch Anfechtung beseitigen.
Kann K von V Herausgabe des Notebooks verlangen?
Lösungsskizze:
Übergabe des Notebooks aus § 433 Abs.1 BGB
- wirksamer Kaufvertrag
- Angebot und Annahme (+);
- Zeitbestimmung für die Übergabe nach dispositivem Recht problemlos
- wirksam? K ist 17 Jahre alt und als Minderjähriger nur beschränkt geschäftsfähig (§106 BGB)
Vertrag lediglich rechtlich vorteilhaft? (§107 BGB) -> Kaufpreiszahlung rechtlich nachteilig, auf die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit kommt es nicht an (-)
- Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§§ 183 S.1, 107 BGB): nicht zu diesem speziellen Geschäft (-)
- Leistung vollständig und mit eigenen Mitteln bewirkt, die zu diesem Zweck überlassen worden oder zur freien Verfügung gestellt sind ("beschränkte Generaleinwilligung" des § 110 BGB):
- vollständig bewirkt (+),
- eigene Mittel (+),
- zu diesem Zweck überlassen (-),
zur freien Verfügung: Sparkonto soll Geld gerade der unmittelbaren, kurzfristigen Disposition entziehen; -> § 110 BGB (-)
- Vertrag insoweit schwebend unwirksam
- Genehmigung des gesetzlichen Vertreters (§§ 108 Abs.1, 184 Abs.1 BGB):
- zuerst gegenüber K;
als V die Eltern zur Genehmigung auffordert, muß diese unabhängig davon aber ihm (V) gegenüber erfolgen (§ 108 Abs.2 S.1 BGB); -> Abstellen auf Zugang der Aufforderung zur Genehmigung, denn damit beginnt die Frist zur Genehmigung zu laufen (§ 108 Abs.2 S.2 BGB): Machtbereich des Empfängers mit Möglichkeit für diesen zur Kenntnisnahme, K als Empfangsbote, also nicht tatsächliche Kenntnisnahme sondern Zugang selbst, den K aber verzögert
=> tatsächliche Genehmigung nicht mehr fristgerecht
=> Kaufvertrag nicht wirksam
=> kein Anspruch des K auf Übereignung des Notebooks aus §433 Abs.1 BGB (selber schuld)
Anfechtung der "Wirkung des Schweigens" der Eltern des K durch diese aus § 119 BGB
- Fiktionswirkung des Schweigens ist eine gesetzlich angeordnete Rechtsfolge und als solche nicht anfechtbar
- Rechtsfolgenirrtümer berechtigen sowieso nicht zur Anfechtung
=> keine Anfechtung möglich