5. Scheidungsmediation
Im folgenden werden einige Einsatzgebiete der Mediation in Zivilsachen genauer beleuchtet.
Mediation wurde zuerst43 in Familiensachen praktiziert. Insbesondere die Mediation bei der Ehescheidung findet mehr und mehr Verbreitung44. In Deutschland begann sich die Familienmediation seit 1989 verstärkt zu entwickeln45.
Bei der Scheidungsmediation spielt die zukünftige Partnerbeziehung eine zentrale Rolle, wenn gemeinsame Kinder die Parteien noch über Jahre binden. Bei allem Streit und aller Emotion muss versucht werden, eine Basis für eine weitere Zusammenarbeit zu schaffen und einen vernünftigen Umgang miteinander zu ermöglichen. Dazu müssen auch die emotionalen Elemente des Konflikts gelöst werden46.
a. Fallbeispiel
Um einen Eindruck zu vermitteln, wie die bei der Scheidung auftretenden Konflikte im Mediationsverfahren gelöst werden können, wird ein typisches Fallbeispiel47 vorgestellt.
Ein Ehepaar um die 50, seit 25 Jahren verheiratet mit zwei erwachsenen Kindern, die beide noch in der Ausbildung sind, lebt seit einem Jahr getrennt. Der Ehemann, der in eine kleine Wohnung gezogen ist, möchte das gemeinsame Haus verkaufen und den Erlös teilen. Die Ehefrau will dies auf keinen Fall und in dem Haus bleiben.
In den ersten drei Mediationssitzungen haben die Parteien die Einkünfte offengelegt und den Bestand geklärt. Die beiderseitigen Einkünfte reichen, um die laufenden Kosten zu decken (Hauskredit, Kindesunterhalt usw.). Es ist jedoch kein Geld vorhanden, dem Ehemann eine größere Wohnung zu finanzieren.
Der Mediator stellt die unterschiedlichen Positionen dar (Haus verkaufen ./. Haus behalten) und fragt die Parteien, was es jeweils für sie bedeutet, das Haus zu behalten bzw. zu verkaufen. Er beginnt die Frage bewusst nicht mit Warum, weil dies die Medianten in eine Rechtfertigungslage bringen würde. Statt dessen fragt er die Frau: Was würde es für Sie bedeuten, wenn Sie das Haus behalten könnten? Seine Frage zielt auf die Interessen, die der Position Haus behalten zugrunde liegen. Die Frau antwortet, dann wäre sie sehr froh, hätte keine Angst mehr vor der Zukunft weil sie wüsste, dass sie dann ihren Beruf weiter ausüben könnte. Es sei schön, wenn die Tochter ihr Zimmer behalten könnte und auch der Sohn komme jedes zweite Wochenende. Man verstünde sich immer so gut und es sei wie früher. Der Mediator wiederholt das in eigenen Worten und fragt, ob er das richtig verstanden hat, was die Frau bejaht. (Diese Prozedur des aktiven Zuhörens wiederholt sich nach jeder Antwort.) Dann erkundigt sich der Mediator, welche Gefühle das noch bei ihr auslöse. Die Frau führt fort, sie fühle sich in dem Haus beschützt, das Haus und der Garten gäben ihr Halt usw.
Den Mann fragt der Mediator, was es für ihn bedeuten würde, das Haus zu verkaufen. Der Mann erzählt von den Gründen für seine Trennung und dass die Trennung auch für ihn sehr schlimm gewesen sei. Er vermisse vor allem die Kinder und leide darunter, dass seine Wohnung zu klein sei, sie zu empfangen. Auch für ihn sei das Haus eine Zuflucht gewesen, die ihm jetzt fehle, da er nur noch in einer Notunterkunft lebe. Er wolle wieder einen Garten haben. Wenn das große Haus verkauft würde, sei er wieder flexibel.
Der Mediator bringt die Parteien dazu, die gegenseitigen Interessen zu betrachten, die den unterschiedlichen Positionen zugrundeliegen. Hier sind die Interessen beider Parteien sogar ähnlich. Im Anschluss an die Befragungen fasst der Mediator zusammen, dass er von beiden gehört habe, dass sie ähnliche Wünsche und Bedürfnisse hätten: Für die Frau bedeute das Haus Hülle, die ihr Schutz gebe. Für den Mann stelle das Haus eine Zuflucht und auch einen wirtschaftlichen Faktor dar, der es ihm ermöglichen würde, sich auch wieder so eine Zuflucht zu erschaffen. Er schlägt vor, dass sich die beiden Gedanken machen, welche Möglichkeiten es gebe, diese Bedürfnisse zu befriedigen.
Die Umdeutung von Positionen in Interessen treibt den Verständigungsprozesses des Paares voran. Hinter den konträren Positionen stehen ganz ähnliche Interessen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit über andere Varianten nachzudenken, als in der jeweiligen Position zu verharren. Nach zwei weiteren Sitzungen findet das Konfliktpaar die Lösung, das Haus zu verkaufen und für jeden ein kleines Reihenhaus zu erwerben.
Fußnoten: 45Groner/Winograd in Büchner u.a., Außergerichtiche Streitbeilegung, 1998, Rn. 226. 46Risse/Wagner in Haft/Schlieffen, Handbuch der Mediation, § 28 Rn. 4. 47entnommen aus Hohmann/Morawe, Praxis der Familienmediation, S. 148 ff.