Als ERASMUS-Student an der Lancaster University, UK

Ein Erfahrungsbericht und Vergleich der Studienbedingungen in Deutschland und dem UK

Im Sommer des Jahres 1992 erfuhr ich zu meiner großen Freude von Frau Scherf vom Auslandsbüro des Fachbereichs Rechstwissenschaften der Universität des Saarlandes, daß ich im Januar im Rahmen des ERASMUS Austauschprogramms für einen "term", das sind zehn Wochen, nach Lancaster (England) fahren dürfe, um an der dortigen Lancaster University zu studieren.

Nachdem etliche Briefe und Faxe hin und her gewandert waren und ich die letzten Vorbereitungen getroffen hatte, ging es am 8. Januar 1993 endlich los in Richtung England. Obwohl der Flug selbst von Frankfurt nach Manchester nur 1½ Stunden dauerte, war ich doch insgesamt neun Stunden unterwegs, bevor ich, einigermaßen erschöpft vom Schleppen der nicht unerheblichen Menge Gepäcks, mit der ersten angenehmen Besonderheit einer englischen Universität vertraut wurde:

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Man fühlt sich willkommen

Die University of Lancaster gliedert sich, wie fast alle anderen englischen Universitäten, in Colleges. Neun davon gibt es in Lancaster. Der Begriff des College ist nicht übersetzbar, weil es kein deutsches Pendant dazu gibt. Ein College ist kein Fachbereich, die heißen "departments", sondern kann noch am ehesten als ein organisatorischer Zusammenschluß von Lehr-, Arbeits- und Wohnräumlichkeiten beschrieben werden. Jedes College verfügt über Hörsäle und Seminarräume, in denen Veranstaltungen aller möglichen Fachrichtungen abgehalten werden, und außerdem über eine stattliche Zahl an Zimmern, die zum Teil als Büroräume, zum größten Teil aber als Wohnräumlichkeiten für Studenten benutzt werden.

Die Annehmlichkeit von der ich sprach besteht nun darin, daß jedes College einen "porter" hat, eine Figur, die aus dem Collegeleben nicht hinwegzudenken ist. Der Porter, oder besser gesagt die Porter, denn es sind natürlich mehrere Männer, die sich im Schichtdienst abwechseln, ist eine Art Hausmeister. Er verwaltet die Schlüssel, kümmert sich um die Gebäude und ist immer hilfsbereit, wenn mal irgend etwas nicht funktioniert. In meinem Raum fiel zum Beispiel einmal am Wochenende die Heizung aus.' Der Porter hat mir sofort ein tragbares Heizgerät besorgt. Auch die Post holt man in den "pigeon holes" ab, die sich in der "porter's lodge" befanden Dieser hervorragenden Institution des Porters habe ich es zu verdanken, daß ich bei meiner Ankunft um 21 Uhr ohne weiteres sofort meinen Schlüssel bekam. Ich wage gar nicht, mir auszumalen, was einem ausländischen Studenten in Deutschland widerfahren würde, käme er außerhalb der Bürozeiten hier an.

Ich war von der langen Reise noch zu aufgedreht, um gleich schlafen zu gehen, so daß ich mich zu einem ersten Erkundungsspaziergang aufmachte. Die University of Lancaster ist eine Campus-Uni, ähnlich wie in Saarbrücken liegt sie außerhalb der Stadt auf einer Anhöhe.

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Auch die gute alte englische Telefonzelle fehlt nicht auf dem Campus

Etwa 7.000 Studenten hat die Uni,. weit weniger also als Saarbrücken. Dennoch ist der Campus viel besser ausgestattet. Das liegt daran, daß ein Großteil der Studenten (etwa 5.000) "on campus" lebt und nur wenige "in town" wohnen. Das Zentrum des autofreien Campus' bildet ein großer Platz, Alexandra Square, an dem sich eine Post, gleich zwei Banken, Drogerie, Zeitschriftenladen, Reisebüro, "gift-shop" (Nein, dort gibt es kein Gift zu kaufen), Supermarkt und sogar ein Friseur angesiedelt haben.

Um diesen Platz herum ist die Universität seit ihrer Gründung 1964 stets gewachsen. Nicht, weniger als neun "pubs" (einer je College) und drei Waschsalons konnte ich auf meinem Rundgang entdecken. Man kann sich vorstellen, wie pulsierend das Leben auf dem Campus zu jeder Tages- und Nachtzeit ist.

Wieder zurück im College inspizierte ich erst einmal etwas genauer die wohnlichen Verhältnisse. Man lebt in dreistöckigen Wohnblocks, Marke "In den Siebziger Jahren schnell hochgezogen", in denen sich pro Stockwerk 12 Zimmerbewohner Bad und Küche teilen. Die Stockwerke sind übrigens säuberlich nach Geschlechtern getrennt, ganz wie die englische Moral es fordert. Natürlich war mein Zimmer recht klein und kärglich eingerichtet, doch ich hatte von vornherein keine übergroßen Ansprüche. Das Einzige, woran ich mich in den ganzen zehn Wochen nicht gewöhnen konnte, war der Lärm. Vor ein Uhr Nachts war an Schlaf nicht zu denken, doch das gehört eben zum Leben in einem Wohnheim.

In den nächsten Tagen wartete ich gespannt auf die ersten Lehrveranstaltungen des "Department of Law".. Mittlerweile hatte ich auch die ersten Leidensgenossen kennengelernt und wir stapften gemeinsam zum Tutor für "visiting students" um unsere Instruktionen entgegenzunehmen. Mr Legrand eröffnete uns, daß wir, genau wie die englischen "law students", vier Kurse zu belegen hatten.

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Den richtigen Weg zum englischen Recht finden

Das Studium des Rechts in Großbritannien dauert in der Regel drei Jahre. Das "academic year" gliedert sich in drei "terms" von denen die ersten beiden der Veranstaltung von Kursen und der letzte zur Durchführung der Abschlußprüfung dienen. Das Bestehen dieser Prüfungen im ersten Jahr berechtigt zum Besuch des Hauptstudiums. Im zweiten und dritten Jahr wählt der Student jeweils vier Kurse im ersten und zweiten Term aus einer vielfältigen Palette von Kursangeboten.

Einige Gebiete wie "common law" sind dabei allerdings obligatorisch. Jeder Kurs schließt mit einer im dritten term zu schreibenden "examination" sowie einem "essay", eine Art Hausarbeit, ab. Die Abschlußnote ergibt sich aus allen Noten, die während des Hauptstudiums in Examinations und Essays erreicht wurden. Man ist also in der Gestaltung des Studiums wesentlich freier, und die Abschlußnote spiegelt viel besser die wirklichen Fähigkeiten des Studenten wieder.

Für mich bedeutete dies, daß ich in den vier von mir gewählten Kursen jeweils ein Essay abzuliefern hatte, während ich von den Examinations mangels physikalischer Anwesenheit im dritten Term verschont blieb.

Die Lehrveranstaltungen waren jeweils mit etwa 20 bis 30 Personen besucht. Eine nahezu ideale Lehr- und Lernumgebung. Der Unterricht wurde nie als reine Vorlesung gehalten, vielmehr war es so, daß der "lecturer" eine Einführung in das jeweilige Thema gab und sich in der zweiten Stunde eine Diskussion in angenehmer Atmosphäre entwickelte. Die wenigsten Lecturer waren übrigens Professoren. Was bei uns noch als heilige Kuh gehandelt wird, ist anderswo längst überwunden. Die Lehre wird vom akademischen Mittelbau getragen, während sich die Profs eher den Veröffentlichungen widmen. Eine weitere Besonderheit des englischen Lehrbetriebes ist, daß in jeder Stunde "reading-lists" ausgegeben werden, die angeben, was man bis zum nächsten Mal zu bearbeiten hat. Es wird erwartet, daß man vorbereitet erscheint und in der Lage ist, Fragen, die sich auf das Reading beziehen, zu beantworten. Ich glaube, hier in Deutschland könnte man sich von dieser Lehrmethode einiges abschneiden. Andererseits wäre dies wohl so, angesichts des Massenbetriebes an deutschen Juristenfakultäten, kaum durchführbar. Ich persönlich bevorzuge das englische System, bei dem schon bei der Vorauswahl, spätestens aber nach dem ersten Jahr die besten Leute ausgesiebt sind, denen dann aber ein Studium unter optimalen Bedingungen angeboten wird.

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Geselliges Leben im College

Noch ein Wort zum Zugang zu englischen Unis. Anders als bei uns herrscht keine Studierfreiheit, d.h. man kann sich nicht einfach, ggf. nach Überwindung eines Numerus clausus, einschreiben. Man muß sich vielmehr um einen Studienplatz bewerben. Für die Aufnahme entscheidend sind neben dem "A-Level", also dem englischen Abitur vor allem "references", also Empfehlungsschreiben von Lehrern, die begründen, warum der Kandidat für das Studienfach geeignet ist. Außerdem spielt auch das Bewerbungsschreiben selbst, in dem man angeben soll, warum man gerade an der gewünschten Uni studieren will, eine nicht zu verachtende Rolle. Auf diese Weise entsteht nicht nur ein Konkurrenzkampf der Bewerber um die besten Unis, sondern umgekehrt konkurrieren auch die Unis gegeneinander um die besten Studenten. In Deutschland undenkbar, findet man in England in Zeitschriften und in London sogar an Plakatwänden Werbeanzeigen mit Slogans wie "Come to Westminster Polytechnic!".

Eine zweifelhafte Sache sind dagegen die "tution-fees", die von den Universitäten erhoben werden. Ein Jurastudium in Lancaster kostet etwa £10.000. Sicher sind die Vorteile nicht zu verachten: so ist die Gefahr, im Falle des Scheiterns das Geld umsonst bezahlt zu haben, ganz bestimmt motivationssteigernd, und die Ausstattung der Unis, die von den Studiengebühren bezahlt wird, ist wesentlich besser als in Deutschland. Doch gibt es immer wieder Begabte, die durch das durchaus engmaschige Netz von Stipendien fallen und denen damit das Studium verwehrt bleibt. Unter einem wirklich umfassenden System der Unterstützung sozial Schwacher würde ich dem Gebührensystem jedoch eindeutig den Vorzug geben.

Natürlich wurde in den zehn Wochen nicht nur studiert. Das "social life" auf einem englischen Campus ist beachtlich, unter anderem auch dadurch bedingt, daß so viele Studenten dort wohnen. Da sind die "societies", allein in Lancaster gab es über hundert, allen voran natürlich die für englische Unis typischen "debating societies", in denen fleißig diskutiert wird. Die jeweils besten Redner einer Uni nehmen sogar an einer landesweiten Ausscheidung teil, bei der Studenten der Lancaster-Uni schon mehrmals vordere Plätze belegten. Ebenfalls Tradition hat die Einrichtung des "wednesday afternoon". Mittwoch Nachmittags gibt es an allen Fachbereichen keine Vorlesungen, damit man sich dem Society-Leben widmen kann.

Auch sonst ist natürlich einiges los. Fast jeden Abend stieg irgendwo eine Party und ständig lernte man neue Leute kennen. Der Ausländeranteil ist wesentlich höher als hier; kein Wunder, wer kann schon Deutsch? Unmengen von Asiaten bevölkerten den Campus, und zahlreiche andere Nationalitäten waren vertreten, insbesondere solche Länder, die über kein solides Ausbildungssystem verfügen wie etwa Hongkong, Zypern, arabische und afrikanische Staaten. Die Aussicht auf eine gute englische Ausbildung treibt die Kinder reicher Eltern aus solchen Staaten nach England.

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Man findet neue Freunde

Mein Fazit für dieses Erlebnis ist: äußerst empfehlenswert. Nicht nur, daß man zahlreiche neue Freundschaften schließt und die Sprache verbessert. Bei einem längeren Aufenthalt erhält man auch einen Einblick in die Mentalität der Leute. gerade die englische ist eine ganz Besondere. Am besten hat mir daran die Höflichkeit und Zuvorkommenheit gefallen. Der Engländer ist bei weitem nicht so egoistisch wie der Deutsche. Von der bekannten Disziplin, insbesondere den "queues", einmal ganz zu schweigen. Nicht zuletzt der, wenngleich kurze, Einblick in das fremde Rechtssystem dient der Erweiterung des persönlichen Horizontes.

Ich kann nur jedem einen solchen Aufenthalt empfehlen. Entgegen einer weitverbreiteten Ansicht ist man hierfür nicht von Frau Scherf abhängig. Über sie erhält man lediglich ein Stipendium, das aber ohnehin kein Vollstipendium ist. Das Leben außerhalb Londons ist nicht sehr teuer in England. Und die Studiengebühren werden für EG-Bürger vom British Council ersetzt. Man kann sich unmittelbar bei jeder englischen Universität bewerben. Angesichts der Tatsache, daß die Stipendiatenplätze bei Frau Scherf sehr knapp sind, würde ich jedem, der ernsthaft an einem Englandaufenthalt interessiert ist, zu diesem Weg raten.

Reinhard Schu

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Interessante Plakate:links: Veranstaltungen des Goethe-Instituts rechts: Auch in England kämpfen Studenten für ihre Studentenschaft

JuristischesAuslandsbüroSaarbrücken/ErfahrungsBericht/Lancaster (zuletzt geändert am 2009-11-03 00:54:15 durch anonym)